Die große Verantwortung derer, denen vergeben ist
In Matthäus 18 erzählt Jesus ein Gleichnis, um seine Jünger zu lehren, wem das Himmelreich gleicht. Wie bei vielen seiner Gleichnisse, bezieht sich hier alles auf Christus und seine Gemeinde.
Jesus beginnt damit, einen König zu beschreiben, der seine Diener zur Rechenschaft ruft. Die Schrift sagt: „Als er [der König] aber anfing, abzurechnen, wurde einer zu ihm gebracht, der zehntausend Talente schuldete“ (Matthäus 18,24). Hier war ein Diener tief in der Schuld. Er schuldete dem König den Gegenwert von hunderten Millionen Dollar, einen Betrag, den er niemals zurückzahlen konnte.
Jesus erzählt uns nicht, wie dieser Mann sich in solch unermessliche Schulden stürzen konnte. Einige Fassungen des Gleichnisses besagen, dass der Mann ein Sklave war und dass seine Schuld ein unbezahlter Kredit war. Doch alles, was wir aus Matthäus‘ Evangelium wissen, ist, dass er Zugang zu riesengroßen Ressourcen hatte, und er vergeudete sie.
Lassen Sie mich auf zwei wichtige Dinge beim Betrachten dieses Gleichnisses hinweisen. Erstens repräsentieren die Diener in dem Gleichnis Gläubige, jene, die in Gottes Reich arbeiten. Also war der verschuldete Diener hier kein Fremder für das Werk des Königs. Zweitens finden wir später (in Matthäus 25) heraus, dass Gottes Absicht dabei, seinem Volk Talente zu geben, ist, Frucht hervorzubringen. Allen, die vom Vater Talente empfangen, wird befohlen, diese Talente zu investieren. Gott verteilt Talente nicht wahllos. Er erwartet, Frucht zu ernten von den Investments, die er in sein Volk schüttet.
Offensichtlich befasste sich der König in Matthäus 18 mit solchen Dienern, bei denen aufgedeckt worden war, dass sie Straftaten begehen. Und der Diener mit der riesengroßen Schuld war einer der ersten Straffälligen, die vor ihn gebracht werden sollten. Dieser Diener war wahrscheinlich ein sehr begabter Mann, wobei viel von ihm erwartet wurde. (Sonst hätte er keinen Zugang gehabt zu all dem, was er verschleudert hatte.) Doch als er zur Rechenschaft gerufen wurde, „hatte er nicht [nichts, um] zu zahlen“ (18,25; a. d. englischen King James Version). Der König fällte dieses Urteil: „Der Herr [befahl], ihn und seine Frau und die Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und <damit> zu bezahlen“ (18,25).
Dieser Mann hatte nichts von Wert, was er für seine kriminelle Schuld hätte umtauschen können. Er hatte kein Geld, keine Güter, keinen Verdienst anzubieten. Also, was tat er? „Der Knecht nun fiel nieder, bat ihn kniefällig und sprach: Herr, habe Geduld mit mir, und ich will dir alles bezahlen“ (18,26).
Es ist wichtig, die Bedeutung von „bat ihn kniefällig“ hier zu kennen. Das griechische Wort bedeutet „einschmeicheln oder kauern, zu küssen wie ein Hund, der die Hand seines Herrn leckt“. Dieser Mann war nicht reumütig auf den Knien. Er schmeichelte und versuchte, seinem Herrn Honig um den Mund zu schmieren. Er bat den König nicht um Vergebung, sondern um Geduld. Er wollte eine weitere Chance und flehte: „Gib mir etwas Zeit. Ich kann meine Sünde wiedergutmachen und alle deine Forderungen erfüllen.“
Die Wahrheit war: Dieser Diener konnte unmöglich für sein Verbrechen bezahlen. Er konnte niemals all das anhäufen, was gebraucht wurde, um die Gelder zurückzuzahlen, die er zweckentfremdet und verschleudert hatte. Ich setze seine Haltung mit dem eines Christen gleich, der beim Ehebruch ertappt wird. Wenn seine Sünde aufgedeckt wird, ist seine erste Reaktion ein aufgesetztes, schmeichelndes Bedauern. Er schreit: „Oh Gott, lass mich meine Ehe, meine Familie nicht verlieren. Nimm mir bitte nicht meine Karriere. Lass mich nicht im Konkurs enden. Hab Geduld mit mir. Ich brauch nur eine weitere Chance.“ Dann bettelt er seine Gemahlin an: „Bitte, versuch es nur noch einmal mit mir.“ Doch in Wirklichkeit kann dieser Mann nie wiedergutmachen, was er getan hat. Es ist schlicht unmöglich.
Jesus setzt das Gleichnis fort: „Der Herr jenes Knechtes wurde von Mitgefühl bewegt, gab ihn los und erließ ihm die Schuld“ (18,27; a. d. englischen King James Version). Warum wurde der König gegenüber diesem schmeichlerischen Mann von Mitgefühl bewegt? Der Diener war nicht bußfertig. Tatsächlich hatte er keine Vorstellung von der übergroßen Sündhaftigkeit seiner Sünde. Wir finden das später im Gleichnis heraus, als sein Herz als hart und unbarmherzig offengelegt wird.
Dieser Mann war ein Schauspieler, ohne Absicht, sich zu ändern. Und sicherlich erkannte der König das. Schließlich repräsentiert der König hier Christus selbst. Er musste wissen, dass der Diener versuchte, auf seine Gefühle zu spekulieren, sein Mitleid zu wecken. Doch trotz allem hatte der König Mitgefühl für ihn. Warum? Es lag nicht an den falschen Tränen. Und es lag auch nicht daran, dass der Diener um Geduld und mehr Zeit bettelte. Nein, der König war wegen der schrecklichen Krankheit bewegt, die das Herz und die Denkweise dieses Mannes plagte.
Sehen Sie, nur eine schreckliche Täuschung konnte diesen Diener veranlassen, zu glauben, er könnte seinem Herrn tatsächlich zurückzahlen. Seine Haltung spiegelte nur wider, für wie unbedeutend er seine Sünde hielt. Für ihn war es nur ein kleiner Fehler, der Zeit benötigte, um behoben zu werden. Er war überzeugt, dass, wenn er nur hart genug arbeitete, er seine Weisheit nutzen konnte, um die Bilanz wieder auszugleichen. Aber der König wusste es anders. Kein noch so großer Verdienst oder Eigenwille konnte die gewaltigen Schulden abarbeiten, die dieser Mann gemacht hatte.
Erfassen Sie die Botschaft? Gemäß Jesus sind wir nicht wahrhaft bußfertig, bis wir anerkennen, dass es uns unmöglich ist, unsere eigenen Sünden wiedergutzumachen. Wir können Gott für unsere Fehltritte niemals etwas zurückzahlen, ob durch Gebet, Weihe oder gute Absichten. Der Neue Bund macht dies klar. Im Alten Testament wurde Ehebruch zu einer Sünde erklärt, die streng zu bestrafen war. Doch Jesus nahm die Sünde des Ehebruchs noch ernster. Er sagte, dass, wenn eine Person jemanden nur begehrlich ansieht, sie schon Ehebruch begangen hat. Kurz: Unter dem Neuen Bund wurde Gottes Forderung nach Heiligkeit sogar größer.
Nun, der König im Gleichnis Jesu wusste, wie niederschmetternd die Folgen der Sünden seines Dieners waren. Und er konnte sehen, dass, wenn er diesen Mann jenen Konsequenzen übergeben würde, der Diener für immer verloren sein würde. Schließlich war der Diener schon blind für das Furchtbare seiner Sünde. Und wenn ihm nicht vergeben würde, würde er sich noch mehr verhärten. Er würde hoffnungslos abwärts trudeln und sein ganzes Leben lang verhärten. Also beschloss der König, ihm zu vergeben. Er erklärte den Mann für frei und erließ ihm alle Schuld.
Lassen Sie mich hier ein kurzes Wort über Buße sagen. Dieser Begriff wird oft als ein „Umwenden“ definiert. Er bezeichnet eine Kehrtwende, eine 180-Grad-Wende weg von den eigenen vorangegangen Wegen. Außerdem wird über Buße gesagt, dass sie von einer von Gott gewirkten Traurigkeit begleitet sein muss.
Doch noch einmal: Der Neue Bund führt ein alttestamentliches Konzept weiter. Bei Buße geht es um weit mehr als ein bloßes Abwenden von den Sünden des Fleisches. Es beinhaltet mehr, als über die Vergangenheit bekümmert zu sein und traurig darüber zu sein, den Herrn betrübt zu haben. Nach Jesu Gleichnis geht es bei Buße um eine Umkehr von der Denkweise-Krankheit, die uns erlaubt zu glauben, dass wir unsere Sünden irgendwie wiedergutmachen können.
Diese Krankheit plagt Millionen von Gläubigen. Wann immer solche Christen in Sünde fallen, denken sie: „Ich kann die Dinge mit dem Herrn in Ordnung bringen. Ich werde aufrichtige Tränen vor ihn bringen, ernsthafteres Gebet, mehr Bibellesen. Ich bin entschlossen, es ihm wiedergutzumachen.“ Aber das ist unmöglich. Diese Art von Denken führt an einen einzigen Punkt: hoffnungslose Verzweiflung. Solche Menschen kämpfen ständig und versagen immer. Und sie landen dabei, sich mit einem falschen Frieden zu begnügen. Sie streben nach einer selbst gemachten Scheinheiligkeit und reden sich selbst eine Lüge ein.
Das ist es, warum Jesus uns dieses Gleichnis gab. Er hält uns gegenüber ein Beispiel eines betrauten, begabten Dieners hoch, der plötzlich als der Oberste aller Schuldner offenbart wird. Hier ist jemand, der unwürdig ist, voller falscher Motive, überhaupt nicht des Mitgefühls wert. Doch sein Herr vergibt ihm alles – geradeso, wie Jesus es für Sie und mich tat.
Sagen Sie mir: Was errettete Sie? Waren es Ihre Tränen und Ihr ernsthaftes Flehen? Ihre tiefe Traurigkeit darüber, Gott betrübt zu haben? Ihr ehrlicher Vorsatz, sich von der Sünde abzuwenden? Nein, es war nichts von all diesen Dingen. Es war Gnade allein, die Sie errettet hat. Und wie der Diener im Gleichnis verdienten Sie es nicht. Tatsächlich sind sie ihrer auch jetzt noch nicht wert, egal wie gottgefällig ihr Wandel ist.
Hier ist eine einfache Definition für wahre Buße. Es bedeutet, zu sagen: „Ich muss ein für allemal jeden Gedanken beiseitelegen, dass ich dem Herrn jemals zurückzahlen könnte. Ich kann niemals meinen Weg in seine gütige Gnade erarbeiten. Deshalb: Keine Anstrengung und kein gutes Werk meinerseits kann meine Sünde jemals auslöschen. Ich muss schlicht seine Barmherzigkeit annehmen. Es ist der einzige Weg zur Erlösung und Freiheit.“
Sah der König über die Sünde seines Dieners hinweg? Zwinkerte er seiner Schuld zu und entschuldigte sie einfach? Nein, überhaupt nicht. Tatsache ist, dass der König dem Mann dadurch, dass er ihm vergab, eine gewichtige Verantwortung übertrug. Und diese Verantwortung war sogar noch größer als die Last seiner Schuld. In der Tat schuldete der Diener seinem Herrn jetzt noch mehr als jemals zuvor. Wie das? Er war nun dafür verantwortlich, anderen zu vergeben und sie zu lieben, gerade so, wie der Herr es für ihn getan hatte.
Was für eine unfassbare Verantwortung dies ist. Und sie kann nicht von den anderen Lehren Christi über das Himmelreich getrennt werden. Schließlich sagte Jesus: „Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euer Vater eure Vergehungen auch nicht vergeben“ (Matthäus 6,15). Der Punkt ist klar: „Wenn ihr anderen nicht vergebt, werde ich euch nicht vergeben.“ Dieses Wort ist nicht optional, es ist ein Befehl. Jesus sagt uns im Wesentlichen: „Ich habe mit euch Geduld gehabt. Ich handelte an euch mit Liebe und Gnade. Und ich vergab euch allein aus meiner Güte und Barmherzigkeit heraus. Genauso sollt ihr liebevoll und barmherzig euren Brüdern und Schwestern gegenüber sein. Ihr sollt ihnen großzügig vergeben, wie ich euch vergab. Ihr sollt in euer Heim, eure Gemeinde, an euren Arbeitsplatz und auf die Straßen gehen und jedem die Gnade und Liebe erweisen, die ich euch erwiesen habe.“
Paulus bezieht sich auf das Gebot Jesu, indem er sagt: „Wie auch der Herr euch vergeben hat, so auch ihr!“ (Kolosser 3,13). Dann legt er dar, wie wir diesem Gebot Gehorsam leisten: „Zieht nun an als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Langmut! Ertragt einander und vergebt euch gegenseitig, wenn einer Klage gegen den anderen hat … Zu diesem allen aber <zieht> die Liebe <an>, die das Band der Vollkommenheit ist!“ (Kolosser 3,12-14).
Was ist mit „einander ertragen“ gemeint? Das griechische Wort bedeutet „sich gefallen lassen, tolerieren“. Es lässt darauf schließen, Dinge zu ertragen, die wir nicht mögen. Uns wird damit gesagt, das Versagen anderer zu tolerieren, sich eine Art und Weise gefallen zu lassen, die wir nicht verstehen.
Also, wie reagierte der Diener, dem vergeben war, auf die Gnade und Vergebung seines Meisters? Das erste, was er tat, war, einen gleichgestellten Diener anzugreifen, der ihm Geld schuldete. Er schritt auf den Mann zu, packte ihn am Hals und verlangte, auf der Stelle ausbezahlt zu werden. Unfassbarerweise handelte es sich dabei um eine Kleinigkeit, weniger als drei Tageslöhne. Doch der Diener bedrohte seinen Schuldner, wobei er rief: „Ich will das sofort!“ Der Mann hatte nichts, also warf er sich zu Boden und bettelte um Geduld. Aber der Diener antwortete: „Deine Zeit ist um!“
Ich sage Ihnen: Dies ist eine der abscheulichsten Sünden in der ganzen Bibel. Erstens wird sie von einem Diener Gottes begangen. Sagen Sie mir: Welche Art von Mensch könnte derart beschämend handeln? Welche Art von Herz könnte so undankbar sein, dass es ihm sogar an einem Bruchteil der Barmherzigkeit mangelt, die ihm selbst erwiesen wurde?
Uns wird ein kurzer Einblick in die Dunkelheit gegeben, die schon die ganze Zeit im Herzen dieses Mannes war. In Römer 2 beschreibt Paulus diese Dunkelheit: „Deshalb bist du nicht zu entschuldigen, Mensch, jeder, der da richtet; denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst; denn du, der du richtest, tust dasselbe ... Denkst du aber dies, Mensch, der du die richtest, die so etwas tun, und dasselbe verübst, dass du dem Gericht Gottes entfliehen wirst? Oder verachtest du den Reichtum seiner Gütigkeit und Geduld und Langmut und weißt nicht, dass die Güte Gottes dich zur Buße leitet?“ (Römer 2,1.3-4).
Was meint Paulus, wenn er sagt, dass diese Person den Reichtum der Güte Gottes verachtet? Das Wort für „verachten“ hier bedeutet: „Er konnte es nicht für möglich halten“. Mit anderen Worten sagte dieser Christ: „Solche Gnade und Barmherzigkeit ist nicht möglich. Ich kann sie nicht ergründen.“ Sie passte nicht in seine Theologie. Also, anstatt sie anzunehmen, richtete er sein Denken gegen sie aus.
Warum konnte der undankbare Diener die Gnade des Königs nicht annehmen? Da gibt es einen Grund: Er nahm die Ungeheuerlichkeit seiner Sünde nicht ernst. Er war zu selbstsicher, davon überzeugt, seine eigene Schuld selbst überwinden zu können. Doch der König hatte ihm bereits gesagt: „Du bist frei. Da ist keine Schuld mehr, keine Forderungen auf dir, keine Bewährung oder Werke erforderlich. Alles, was du nun tun musst, ist, dich auf die Güte und Geduld zu konzentrieren, die ich dir erwiesen habe.“
Tragischerweise ist ein Mensch, der Liebe nicht annimmt, auch nicht fähig, irgendjemand anderen zu lieben. Stattdessen wird er gegenüber anderen gesetzlich. Das ist es, was bei diesem Diener geschah. Er verfehlte das ganze Thema der Barmherzigkeit des Königs ihm gegenüber. Sehen Sie, Gottes Nachsicht und unverdiente Vergebung sind für eine Sache bestimmt: uns zur Buße zu führen. Paulus erklärt, „dass die Güte Gottes dich zur Buße leitet“ (Römer 2,4). Paulus wusste dies aus erster Hand, wobei er beansprucht hatte, der Oberste aller Sünder zu sein.
Aus dem Gleichnis geht klar hervor, dass dies der Grund ist, aus dem der Herr seinem Diener vergab. Er wollte, dass dieser vertraute Mann sich von seinen eigenen Werken des Fleisches abwandte, um in der unfassbaren Güte des Königs zu ruhen. Solch eine Ruhe würde ihn dazu befreien, im Gegenzug andere zu lieben und ihnen zu vergeben. Aber statt Buße zu tun, ging der Diener weg und zweifelte an der Güte seines Herrn. Er wollte nicht von dem Gedanken ablassen, dass der König seine Meinung ändern könnte. Also beschloss er, einen Alternativplan zu haben. Und er ging, während er die Barmherzigkeit des Königs verachtete, mit anderen ins Gericht.
Können Sie sich die gequälte Denkweise einer solchen Person vorstellen? Dieser Mann verließ einen heiligen Ort der Vergebung, an dem er die Güte und Gnade seines Herrn erfuhr. Doch anstatt sich zu freuen, verachtete er den Gedanken an eine so uneingeschränkte Freiheit. Ich sage Ihnen: Jeder Gläubige, der Gottes Güte für unmöglich hält, öffnet sich für jede Lüge Satans. Seine Seele hat keine Ruhe. Sein Denken befindet sich ständig in Aufruhr. Und er befürchtet ständig Gericht.
Ich frage mich: Wie viele Christen leben heute diese gequälte Existenz? Ist es das, warum es so viel Streit, so viele Spaltungen im Leib Christi gibt? Ist es das, warum so viele Geistliche uneins sind, warum so viele Denominationen die Gemeinschaft miteinander verweigern?
Der Richtgeist innerhalb der Gemeinde ist weit schlimmer als jedes Gericht, das in der Welt vor sich geht. Und dies spricht dem Hohn, was Jesus sagte: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Johannes 13,35). Ich frage Sie: Kann die Welt Gottes Volk nach diesem Maßstab überhaupt erkennen? Sagen Ungläubige: „Diese Menschen sind wirklich seine Jünger. Nie habe ich sie kämpfen sehen. Sie lieben einander wirklich“?
Ich bin völlig schockiert gewesen über die tiefen Spaltungen, deren Zeuge ich in der Gemeinde geworden bin. Ich sah das aus erster Hand bei einer Pastorenkonferenz auf einem anderen Kontinent. Als ich ankam, warnten mich verschiedene prominente Geistliche: „Arbeiten Sie nicht mit Reverend So-und-so zusammen. Er ist in bizarre Anbetung und alle möglichen charismatischen Narrheiten verwickelt. Sie sollten ihm in der Konferenz keinen Bekanntheitsgrad verschaffen.“ Selbst seine pfingstlichen Kollegen forderten mich auf, ihn zu meiden.
Aber als ich diesen Pastor traf und ihn kennen lernte, sah ich Christus in ihm. Irgendwann flüsterte mir jemand zu: „Dieser Mann ist einer der größten Gebetsmenschen in unserer Nation. Er verbringt jede Woche zwei ganze Tage nur betend.“ In der Tat befand ich den Pastor als freundlich, sanftmütig und liebevoll – genau die Früchte, von denen Jesus sagte, dass wir sie alle haben sollen.
Als ich sprach, bat ich den Geistlichen zu mir auf das Podium, zusammen mit einigen anderen. Das verärgerte viele und anschließend machten sich mehrere Pastoren lustig über mich. Alles, was ich denken konnte, war: „Diese Männer wissen, was es bedeutet, wenn einem eine große Schuld vergeben ist. Doch, von allen Leuten, weigern sich diese Leiter der Gemeinde Gottes, einen Pastorenkollegen zu ertragen, den sie nicht einmal kennen.“
Bei einer anderen Konferenz wurde ich Zeuge, wie mehrere Denominationen fröhlich zusammenarbeiteten. Da war ein großartiges Bewusstsein der Einheit unter den Baptisten, Pfingstlern, Lutheranern und Episkopalen. Jeden Abend leitete ein Vertreter einer anderen Denomination das Treffen. An einem Abend begrüßte ein pfingstlicher Bischof die Versammlung. Ihm folgte eine pfingstliche Lobpreisgruppe. Die jungen Anbeter waren voller Freude, klatschten in die Hände während sie die jubilierende Anbetung leiteten. Später wurde mir erzählt, dass einige von ihnen von Drogenabhängigkeit befreit worden waren und dankbar waren, einfach da zu sein.
Aber als ich zum Bischof schaute, wurde sein Gesicht rot. Er runzelte die Stirn und begann zu schäumen. Ich realisierte, dass seine Denomination nicht an ausgelassene Anbetung glaubte. Und ich hatte offen mitgemacht. Nach der Versammlung schritt mir der Bischof entgegen und erklärte: „Das war beschämend, total aus dem Fleisch. Wie konnten Sie erlauben, dass das weiterging? Ich verlasse diese Konferenz, und ich nehme alle meine 200 Pastoren mit.“
Ich war verblüfft, sprachlos. Ich hatte Wochen auf meinen Knien im Gebet verbracht, um mich auf diese Konferenz vorzubereiten. Doch jetzt fragte ich mich, was ich falsch gemacht hatte. Die Wahrheit ist, dass ich vom Zorn dieses Mannes erstickt wurde. Es war wie die Szene im Gleichnis: Er hatte mich am Hals gepackt und eine zornige Forderung an mich gestellt. Dankenswerterweise änderte der Bischof seine Herzenshaltung und verließ die Konferenz nicht. Aber was könnte einen Diener Gottes so vereinnahmen, dass er sich weigerte, einen Mitdiener Christi zu ertragen? Da war keine Geduld, keine Barmherzigkeit, keine Liebe für andere mit demselben kostbaren Glauben.
Jahrelang hatte ein Bischof einer bestimmten Denomination mich in sein Land eingeladen, um dort Versammlungen abzuhalten. Er bat: „Diese Nation muss hören, was Gott zu Ihnen gesagt hat.“ Schließlich gab der Herr mir die Freiheit, zu gehen, allerdings unter der Bedingung, dass allen Denominationen erlaubt würde, an den Versammlungen teilzunehmen. Als der Bischof das hörte, weigerte er sich, teilzunehmen. Und er verbot auch allen seinen Pastoren, teilzunehmen. Warum? Sie waren seit Jahren von anderen Denominationen getrennt? Ein Vertreter des Bischofs rief an, um mich anzufahren: „Schande über Sie. Wie könnte ein Mann Gottes mit solchen Leuten zusammenarbeiten?“
Wer genau waren diese Leute, von denen er sprach? Wie ich feststellte, war es ein lutherischer Bischof, der von Jesus erfüllt war ... eine Gruppe demütiger Pfingstbischöfe ... und ein baptistischer Bischof, der unter dem Kommunismus im Gefängnis gewesen war, wo er eine handschriftlich kopierte Ausgabe meines Buches „Das Kreuz und die Messerhelden“ gelesen hatte. Alle diese Leiter wollten unbedingt gemeinsam anbeten, als eins in Christus. Können Sie sich irgendeinen anderen christlichen Leiter vorstellen, der sich weigert, mit einer solchen Gruppe Gemeinschaft zu haben?
Was steckt hinter solchen verurteilenden Streitigkeiten? Warum behandeln Diener Gottes, denen persönlich so viel vergeben wurde, ihre Brüder so schlecht und weigern sich, mit ihnen Gemeinschaft zu haben? Das alles lässt sich auf die traurigste aller möglichen Sünden zurückführen: Gottes Güte zu verachten.
Zu dieser Schlussfolgerung kam ich nur, als ich in meinem eigenen Herzen nach der Antwort forschte. Ich erinnerte mich an meinen eigenen Kampf, Gottes Barmherzigkeit und Gnade mir gegenüber anzunehmen. Jahrelang hatte ich unter einer gesetzlichen Sklaverei gelebt und gepredigt. Ich versuchte alles, um nach Maßstäben zu leben, von denen ich dachte, dass sie zur Heiligkeit führten. Aber es handelte sich größtenteils nur um eine Liste von Tun und Nichttun.
Die Wahrheit ist, dass ich mich auf dem Berg Sinai wohler fühlte, in der Gesellschaft donnernder Propheten, als unter dem Kreuz, wo meine Bedürftigkeit aufgedeckt wurde. Ich predigte Frieden, aber ich erlebte ihn nie ganz. Warum? Ich war unsicher bezüglich der Liebe des Herrn und seiner Geduld mit meinen Schwächen. Ich betrachtete mich als so schwach und böse, dass ich der Liebe Gottes nicht wert war. Kurz: Ich machte meine Sünden größer als seine Gnade.
Und weil ich Gottes Liebe zu mir nicht fühlte, verurteilte ich jeden anderen. Ich sah sie mit denselben Augen, mit denen ich mich wahrnahm: als Kompromisse Machende. Dies wirkte sich auf mein Predigen aus. Ich wetterte gegen das Böse in anderen, während ich es in meinem eigenen Herzen aufsteigen fühlte. Wie der undankbare Diener hatte ich nicht an Gottes Güte zu mir geglaubt. Und weil ich seine liebevolle Nachsicht mit mir mir nicht aneignete, hatte ich sie auch nicht bei anderen.
Schließlich wurde mir die eigentliche Frage klar. Sie war nicht mehr: „Warum sind so viele Christen hart und vergeben nicht?“ Jetzt fragte ich: „Wie kann ich überhaupt den Befehl Christi erfüllen, andere zu lieben, wie er mich geliebt hat, wenn ich nicht davon überzeugt bin, dass er mich liebt?“
Ich denke jetzt an den Bischof zurück, der über die ausgelassene Anbetung wütend wurde. Ich glaube, dieser Mann handelte aus Furcht. Er sah Gottes Salbung auf diesen Sängern und er hörte meine Predigt, von der er wusste, dass sie von Gottes Thron kam – und das bedrohte seine Traditionen. Er klammerte sich mehr an eine Doktrin als an die Liebe Christi. Und diese Doktrin war zu einer Mauer geworden, die ihn von seinen Brüdern und Schwestern in Christus entfremdete.
Paulus ermahnt: „Alle Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung sei von euch weggetan, samt aller Bosheit! Seid aber zueinander gütig, mitleidig, und vergebt einander, so wie auch Gott in Christus euch vergeben hat!“ (Epheser 4,31-32).
Wir müssen uns dieses Wort aus dem Gleichnis Christi zu Herzen nehmen: „Jene ganze Schuld habe ich dir erlassen ... Solltest nicht auch du dich deines Mitknechtes erbarmt haben, wie auch ich mich deiner erbarmt habe?“ (Matthäus 18,32-33).
Niemandem wurden mehr Sünden vergeben als mir. Ich bin einer jener, die von den „Sünden, die mir über den Kopf wuchsen“ freigesprochen wurden, – Übertretungen des Fleisches und Geistes, die zu zahlreich waren, um sie zählen zu können. Ich habe Gottes Wort nicht gehorcht, sein Wirken in meinem Leben begrenzt, bin ungeduldig gegenüber den Menschen gewesen, verurteilte andere, während ich selbst schuldig dastand. Und der Herr hat mir alles davon vergeben.
Die Frage für mich – und in der Tat für jeden Christen – ist jetzt diese: „Habe ich Nachsicht mit meinen Geschwistern? Ertrage ich ihre Unterschiedlichkeit?“ Wenn ich mich weigere, sie zu lieben und ihnen zu vergeben, wie auch mir vergeben wurde, nennt Jesus mich einen „bösen Knecht“.
Missverstehen Sie nicht: Das bedeutet nicht, dass wir Kompromisse erlauben sollen. Paulus predigte freimütig die Gnade, aber er wies Timotheus an: „Überführe, weise zurecht, ermahne mit aller Langmut und Lehre!“ (2. Timotheus 4,2). Wir sollen kühne Wächter der reinen Lehre sein.
Doch wir sollen die Lehre nicht dazu benutzen, Mauern zwischen uns aufzubauen. Das war die Sünde der Pharisäer. Das Gesetz sagte ihnen: „Haltet den Sabbat heilig.“ Aber dieses Gebot war nicht genug für ihr Fleisch. Sie fügten ihre eigenen Schutzbestimmungen, vielfältige Regeln und Vorschriften hinzu, die am Sabbat die geringst mögliche körperliche Bewegung erlaubten. Das Gesetz sagte auch: „Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht zu Nichtigem aussprechen.“ Aber die Pharisäer errichteten sogar mehr Mauern, indem sie sagten: „Wir werden Gottes Namen nicht einmal erwähnen. Dann können wir ihn auch nicht zu Nichtigem aussprechen.“ In einigen jüdischen Sekten ist diese Mauer noch in Kraft. Aber es ist eine Mauer des menschlichen Handelns, und nicht Gottes Handeln. Deshalb ist das Sklaverei.
Heute sagt uns der Herr: „Seid heilig, denn ich bin heilig“ (1. Petrus 1,16). Aber Menschen haben diesen Befehl genommen und ihn dazu benutzt, Mauern zu errichten. Sie haben Bekleidungsnormen erlassen, Normen, die das Verhalten und die Aktivitäten beeinträchtigen, unmögliche Standards, denen sie nicht einmal selbst genügen können. Diese Mauern haben eine unsichtbare Festung errichtet und nur diejenigen, die innerhalb dieser Mauern leben, werden als heilig betrachtet. All jene außerhalb der Mauern werden verurteilt und sollen gemieden werden.
Ich sage Ihnen, das ist Boshaftigkeit der schlimmsten Art. Jesu Gleichnis macht das deutlich. Solche Leute packen andere am Hals und verlangen: „Auf meine Art oder auf überhaupt keine.“ Aber keiner der Befehle des Herrn war dazu bestimmt, zu Mauern der Entfremdung gemacht zu werden.
Was war die Antwort des Königs auf die Undankbarkeit seines Dieners in Jesu Gleichnis? Die Schrift sagt: „Sein Herr wurde zornig und überlieferte ihn den Folterknechten, bis er alles bezahlt habe, was er ihm schuldig war“ (Matthäus 18,34). Aus dem Griechischen übersetzt sich das so: „hinabgeführt, um gefoltert zu werden“. Ich kann daraus nur schließen, dass Jesus hier von der Hölle spricht.
Also, was hat das Gleichnis uns zu sagen? Wie fasst Christus seine Botschaft an seine Jünger, seine engsten Begleiter, zusammen? „So wird auch mein himmlischer Vater euch tun, wenn ihr nicht ein jeder seinem Bruder von Herzen vergebt“ (18,35).
Wenn ich dieses Gleichnis lese, schaudere ich. Es bewirkt, dass Ich auf mein Angesicht fallen und Jesus um eine Taufe der Liebe zu meinen Mitdienern bitten möchte. Hier ist mein Gebet und ich dränge Sie, es auch zu Ihrem zu machen:
„Gott, vergib mir. Ich lasse mich zu leicht von anderen provozieren und allzu oft reagiere ich mit Zorn. Doch ich weiß nicht, wo mein eigenes Leben heute stünde ohne deine Gnade und Nachsicht. Ich staune über deine Liebe. Bitte, hilf mir, deine Liebe zu mir vollständig zu verstehen und anzunehmen. Das ist der einzige Weg, wie ich jemals in der Lage sein kann, deinen Befehl, zu lieben, zu erfüllen. Dann werde ich in der Lage sein, mit meinen Geschwistern Geduld zu haben, in deinem Geist der Liebe und Barmherzigkeit.“ Amen.
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Bibelstellen – soweit nicht anders angegeben – nach der Elberfelder Bibel 2006. Die angegebenen Versnummern können bei einigen Bibelausgaben abweichen.