Ohne Furcht leben
„Gepriesen sei der Herr … dass er sein Volk angesehen und <ihm> Erlösung geschaffen hat. Er hat uns ein Horn des Heils aufgerichtet … wie er geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten von Ewigkeit her: Rettung von unseren Feinden … um Barmherzigkeit zu üben an unseren Vätern und seines heiligen Bundes zu gedenken,
des Eides, den er Abraham, unserem Vater, geschworen hat; <und> uns zu geben, dass wir, gerettet aus der Hand unserer Feinde, ohne Furcht ihm dienen sollen in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor ihm alle unsere Tage“ (Lukas 1,68-75).
Gott sprach diese Verheißung seit Anbeginn der Welt aus und schwor sie Abraham in einem Bund. Zwei eindrucksvolle Barmherzigkeiten sind in dieser Verheißung enthalten: Erstens, ein Retter wird kommen, der „Rettung vor unseren Feinden“ bringen würde. Zweitens, der Retter würde uns befähigen, „ohne Furcht ihm (zu) dienen … in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor ihm all unsre Tage.“
Alle Propheten wiesen auf die Erfüllung dieses Wortes in Christus hin. Und diese Verheißungen erfüllten sich in dem Sieg Jesu am Kreuz. Dort besiegte der Herr alle Fürstentümer und Mächte der Finsternis, indem er seinen Fuß auf Satans Kopf setzte und ihn zermalmte. Auf Golgatha war es, wo der Messias uns vor allen unseren Feinden rettete.
Was ist mit dem zweiten Element dieser Verheißung? Es sagt, dass Christus dafür gesorgt hat, dass wir alle unsere Tage ohne Furcht leben. Was für ein erstaunlicher Gedanke: Wir können den Rest unseres Lebens auf dieser Erde verbringen, ohne irgendetwas fürchten zu müssen.
Wenn ich über diesen zweiten Aspekt der Verheißung Gottes nachdenke, muss ich zugeben: Ich bin dort noch nicht angelangt. Die Schrift zeigt, dass selbst der Apostel Paulus lange brauchte, bis er an den Punkt gelangte, ohne Furcht zu leben. Wie ist es bei Ihnen? Haben Sie solch einen Punkt schon erreicht? Wir alle haben den ersten Teil der Verheißung erfahren: Christus hat Sieg über dämonische Feinde in unser Leben gebracht. Aber beim zweiten Teil – leben ohne Furcht – empfinde ich, dass wenige von uns sich wahrer Freiheit von Furcht erfreuen.
Aber Gott hätte uns diese Bundesverheißung nicht gegeben, ohne uns zu zeigen, wie wir sie erlangen. In der Tat umreißt die Schrift klar einen Weg für jeden Gläubigen, um fähig zu sein, ohne Furcht zu leben und ihm zu dienen.
Der Apostel Johannes fasst es in einem Vers zusammen: „Vollkommene Liebe treibt die Furcht aus“ (1. Johannes 4,18). Zudem sagt der Apostel: „Furcht ist nicht in der Liebe … Wer sich aber fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe“ (derselbe Vers). Kurz, wenn wir in Furcht leben, dann können wir wissen, dass wir bezüglich der vollkommenen Liebe unwissend sind.
Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass Johannes nicht sagt: „Vollkommene Liebe zu Gott vertreibt alle Furcht“. Es spricht nicht von unerschütterlicher Liebe, oder von reifer Liebe in einem Christen, wie manche Ausleger vorschlagen. Das ist es nicht, wo die vollkommene Liebe bei wahren Gläubigen beginnt.
Sicherlich, wir lieben Gott. Das ist eine Tatsache, die außer Zweifel steht. Aber bedenken Sie, was Johannes etwas früher im Kapitel über vollkommene Liebe sagte: „Wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollendet“ (4,12; Kursiv von mir). Nach Johannes ist die erste Überlegung in Bezug auf vollkommene Liebe die bedingungslose Liebe zu unseren Brüdern und Schwestern in Christus.
Ein Christ kann sagen, dass er Gott liebt, dass er den Willen des Herrn tut, dass er treu die Arbeit des Königreiches vollbringt. Solch ein Mensch mag ein Anbeter und ein Lehrer des Wortes sein. Aber wenn er einen Groll hegt oder gegen andere redet – wenn er irgendjemanden im Leib Christi ausschließt –, wandelt er in Dunkelheit und ein Geist des Todes ist auf ihm. Jedes Leben, alle guten Werke, sind in diesem Menschen außer Kraft. Lesen Sie, was Johannes über ihn sagt:
„Wer sagt, dass er im Licht sei, und hasst seinen Bruder, ist in der Finsternis bis jetzt“ (1. Johannes 2,9). Johannes sagt, dass ein solcher Mensch allen Grund zum Stolpern hat. Er fügt hinzu: „Wer nicht liebt, bleibt im Tod. Jeder, der seinen Bruder hasst, ist ein Menschenmörder, und ihr wisst, dass kein Menschenmörder ewiges Leben bleibend in sich hat“ (3,14-15).
Wenn Sie daran interessiert sind, ein Leben ohne Furcht zu leben, sagt Johannes, dann gibt es einen Weg, dorthin zu gelangen. In der Tat, es gibt eine vollkommene Liebe, die alle Furcht austreibt. Und hier ist der erste Schritt, den wir alle tun müssen: „Geliebte, wenn Gott uns so geliebt hat, sind auch wir schuldig, einander zu lieben“ (4,11). Der erste Schritt ist, uns mit unseren Beziehungen im Leib Christi zu befassen.
Nach Johannes ist das der Punkt, an dem vollkommene Liebe beginnt. Einander zu lieben ist nicht etwas, was wir tun „sollten“, sondern was zu tun uns geboten wird. Johannes sagt im Kapitel davor: „Dies ist sein Gebot: dass wir an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben, wie er es uns als Gebot gegeben hat“ (3,23). „Und dieses Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, auch seinen Bruder lieben soll“ (4,21).
Einfach gesagt: Wir sollen andere lieben wie Christus uns geliebt hat. Damit wird die Liebe vollkommen gemacht. Doch, was ist mit Liebe zu anderen gemeint? Es ist mehr als Vergebung, viel mehr. Es geht darum, anderen jede Übertretung gegen uns zu vergeben. Es geht darum, ihnen Gemeinschaft anzubieten. Es geht darum, sie so wertzuschätzen wie wir es bei anderen Gliedern des Leibes tun. Und es geht darum, uns für sie in ihrer Zeit der Not verfügbar zu machen.
Mehr noch, andere zu lieben bedeutet, jede Fehleinschätzung oder Kränkung, die uns oder unserem Ruf angetan wurde, nie zu wiederholen. Kurz, es geht darum, zu vergeben und zu vergessen, die ganze Vergangenheit im Meer der Vergessenheit zu begraben, in das Christus alle unsere Sünden gegen ihn geworfen hat.
Wir wissen, dass Gott das Herz sieht. Also muss jeder von uns nach innen schauen und fragen: „Ich habe meine Verletzungen unter das Blut gestellt, aber habe ich wirklich denen vergeben, die sie mir zugefügt haben? Ist ‚Liebe für andere’ ein vollendetes Werk in mir? Oder werde ich weiter von Bitterkeit verfolgt?“
Zweiter Johannes sagt, dass in Wahrheit zu wandeln die „Lehre des Christus“ ist (2. Johannes 9). Was genau ist diese Lehre? Es geht darum, Gottes Gebot, seinen Leib zu lieben, vollständig zu befolgen. „Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und grüßt ihn nicht! Denn wer ihn grüßt, nimmt teil an seinen bösen Werken“ (2. Johannes 10-11).
Dies ist ein ernstes Wort von Johannes. Und darin eingebettet ist eine Warnung davor, lieblosem Geschwätz Gehör zu schenken. Ob Sie solche Worte verbreiten oder annehmen – am Telefon, beim Kaffee, oder sogar in der Gemeinde: Der Zuhörer ist genauso schuldig wie der Schwätzer. Und beide spotten der Lehre Christi. Gott helfe uns, die schrecklichen Konsequenzen zu erkennen, wenn man auf liebloses Gerede, Bitterkeit, oder Einzelheiten über das Verhalten eines anderen hört, jemandem Gehör schenkt, der aus Wut eine einseitig Geschichte ablädt und Samen der Zwietracht sät.
Geliebte, diese Angelegenheit, zu vergeben und andere zu lieben, ist ein Gebot. Doch nach Johannes ist es auch eine liebevolle Einladung zu einem Leben der Freiheit von Furcht. Er sagt, dass der Heilige Geist uns nicht zu dieser Wahrheit treiben wird, sondern dass er uns umwirbt, indem er behutsam mit uns umgeht: „Denn dies ist die Liebe Gottes: dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer. Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube“ (1. Johannes 5,3-4).
Es kann hart sein, andere zu lieben und ihnen zu vergeben, besonders denen, die uns tief verwundet haben. Aber Johannes versichert: „Und dies ist die Zuversicht, die wir zu ihm haben, dass er uns hört, wenn wir etwas nach seinem Willen bitten. Und wenn wir wissen, dass er uns hört, was wir auch bitten, so wissen wir, dass wir das Erbetene haben, das wir von ihm erbeten haben“ (5,14-15).
Wenn wir gelernt haben, zu lieben und zu vergeben, zieht der Heilige Geist die Wurzeln des Nichtvergebens aus unseren Herzen. Und keine Spur davon bleibt übrig, sie ist ein für allemal vergangen. Nun sind wir fähig, für diejenigen zu beten, denen wir vergeben haben, gut von ihnen zu denken und ihnen sogar zu dienen. Schließlich sehen wir sie durch dasselbe Blut gereinigt, das uns reinigt, und dass sie im Leib Christi eins mit uns sind. Das ist genau das Herz Jesu.
Trotzdem, wenn wir uns einmal angewöhnt haben, andere so zu lieben, wie Christus uns geliebt hat, dann gibt es da noch einen nächsten Teil zu berücksichtigen. Sehen Sie, andere zu lieben ist nur zum Teil vollkommene Liebe.
„Wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm. Hierin ist die Liebe bei uns vollendet worden, dass wir Freimütigkeit haben am Tag des Gerichts, denn wie er ist, sind auch wir in dieser Welt“ (1. Johannes 4,16-17).
Beachten Sie den letzten Teil dieser Bibelstelle. Johannes sagt uns, dass wir jetzt so leben, wie der Herr lebte: indem wir unseren Feinden vergeben und sie lieben. In uns ist nichts übriggeblieben von Rache, Groll, Rassenvorurteilen – nichts, um uns am Tag des Gerichts zu verurteilen. Und so müssen wir jetzt die Liebe Gottes zu uns kennen und völlig glauben.
„Hierin ist die Liebe: Nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden“ (1. Johannes 4,10). Sehen Sie, was Johannes hier sagt? Unsere Liebe zu Gott ist eine gegebene. Vollkommene Liebe bedeutet auch, Gottes Liebe zu uns zu erkennen und zu glauben.
Mehr noch, Johannes sagt, es darf in dieser Liebe keine Furcht, keinen Zweifel daran geben. Warum? Wenn wir an seiner Liebe zu uns zweifeln, werden wir in Qual leben: „Furcht hat Qual“ (4,18; a. d. englischen King James Version). An Gottes Liebe zu glauben heißt, zu wissen, dass er tagein tagaus Geduld mit unserem Versagen hat. Er hört alle unsere Schreie, sammelt jede Träne, spürt unsere Herzensqualen und wird bei unserem Stöhnen von Mitgefühl bewegt.
Dieser Aspekt der Liebe Gottes wird in Exodus sehr lebhaft veranschaulicht, als der Herr versuchte, seinem Volk sein liebendes Wesen zu offenbaren. Er sagt zu Mose: „Ich werde Israel befreien“, und die Schrift sagt: „(Sie) schrien um Hilfe. Und ihr Geschrei wegen der Arbeit stieg auf zu Gott. Da hörte Gott ihr Ächzen“ (2. Mose 2,23-24). „Der HERR aber sprach: Gesehen habe ich das Elend meines Volkes in Ägypten … Ich kenne seine Schmerzen. Und ich bin herabgekommen, um es aus der Gewalt der Ägypter zu retten“ (3,7-8).
Der Pharao hatte es den versklavten Israeliten unmöglich gemacht, seine Ziegelherstellungs-Quoten einzuhalten. Also, wie reagierte das Volk auf Gottes Zusage, sie zu retten? „Aus Verzagtheit und wegen <ihrer> schweren Arbeit hörten sie nicht auf Mose“ (2. Mose 6,9).
Ich frage Sie: Glauben Sie, dass Gott Ihre Not und Umstände sieht, so wie er es bei Israel tat? Oft sagen wir leicht dahin: „Christus ist alles“, und doch, wenn wir uns einer Krise gegenübersehen – wenn eine Sache nach der anderen schief geht, unsere Gebete nicht erhört zu werden scheinen und Hoffnung auf Hoffnung zerschlagen wird –, verfallen wir in Furcht. In der Tat, wir erliegen der Furcht, wann immer wir in unserem Vertrauen auf den Herrn für alle Dinge wanken. Tatsache ist aber, Gott verlässt niemals irgendeines seiner Kinder in ihrer Zeit der Qualen, selbst wenn die Dinge völlig hoffnungslos erscheinen.
Geliebte, unser Glaube ist nicht wirklich Glaube, bis er bis an die Grenze erprobt wird. Als der Herr Israel aus Ägypten befreite, sagte er dem Volk: „Ich habe euch aus der Sklaverei geführt, um euch zu mir zu bringen.“ Dann führte er sie Schritt für Schritt an so schwierige Orte, dass nur Wunder sie retten konnten. Das waren harte, überwältigende Situationen, doch sie dienten einer ewigen Absicht: in ihnen eine völlige Abhängigkeit von Gott für alle Ressourcen aufzubauen.
Gott versprach, dass er das Unmögliche für sie tun würde. Er würde ihnen einen Weg schaffen, wenn es keinen sichtbaren Weg gab, den sie gehen konnten. Und der Herr vollbrachte alles, was er versprochen hatte. Sei einziger Wunsch für sein Volk war: Sie sollten glauben, dass er sie liebte, dass er all das wusste, was sie durchmachten, dass er alle Schreie hörte. Alles, was er wollte war, sie in festem Glauben sagen zu hören: „Bei meinem Gott ist nichts unmöglich.“
Was ist der Beweis für Glauben? Er ist innere Ruhe. Er ist eine Herzenshaltung, die sagt: „Leben oder sterben, ich gehöre dem Herrn. Er ist mir in allen Dingen treu, egal wie düster es aussehen mag.“ Der Verfasser des Hebräerbriefs bezieht sich auf diese Haltung, wenn er schreibt: „Es ist also noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes“ (Hebräer 4,9; Lutherübersetzung 1984).
Was ist der Beweis, dass wir noch nicht in die Ruhe hineingekommen sind? Er ist Furcht. Wie Johannes feststellt: „Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe“ (1. Johannes 4,18). Und Jakobus beschreibt die Konsequenzen, wenn man nicht in Gottes Liebe zu uns ruht: „Er bitte aber im Glauben, ohne irgend zu zweifeln; denn der Zweifler gleicht einer Meereswoge, die vom Wind bewegt und hin und her getrieben wird. Denn jener Mensch denke nicht, dass er etwas von dem Herrn empfangen werde“ (Jakobus 1,6-7).
In dieser Geschichte dient Josef als ein Bild auf Christus. Seine älteren Brüder hassten ihn wegen seiner Integrität, so dass sie, als sie einige Händler trafen, die auf Ägypten zusteuerten, Josef als Sklaven verkauften. Nach vielen harten Prüfungen und Jahren des Leidens stieg Josef auf und wurde die rechte Hand des Pharao. Dann wurde ihm die Vision einer siebenjährigen, weltweiten Hungersnot gegeben und er riet dem Pharao, damit zu beginnen, Berge von Getreide einzulagern. Das tat der Pharao während der guten Jahre, und dann traf die Hungersnot ein.
Als die Lebensmittel knapper wurden, schickte Josefs Vater, Jakob, seine zehn Söhne nach Ägypten, um vom Pharao Getreide zu kaufen. Was folgt ist die bekannte Geschichte über eine Intrige: Josef erkannte seine Brüder, aber sie erkannten ihn nicht. Während ihrer Interaktion hörte Josef mit, wie sie ihre Sünde bekannten, sie aber ahnten nicht, dass er sie verstand. Sie sagten: „Fürwahr, wir sind schuldbeladen wegen unseres Bruders, dessen Seelenangst wir sahen, als er uns um Gnade anflehte, wir aber nicht hörten. Darum ist diese Not über uns gekommen“ (1. Mose 42,21).
Wie reagierte Josef auf ihr Geständnis? „Er wandte sich von ihnen ab und weinte“ (42,24). Während sich die Geschichte entwickelt wird klar, dass Josef im Herzen mit seinen Brüdern versöhnt war. Obwohl sie ihn schrecklich ungerecht behandelt hatten, sehnte Josef sich danach, sich seinen Blutsverwandten zu offenbaren, ihnen um den Hals zu fallen, sie zu küssen und sie mit sich zu versöhnen.
Nach Paulus spiegelt dies Gottes Herz für uns wider. Er schreibt, dass „wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren“ (Römer 5,10; Lutherübersetzung 1984). „Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus“ (2. Korinther 5,18). Während wir Sünder waren, räumte Gott jedes Hindernis aus, das uns davon abhielt, mit ihm versöhnt zu werden: durch das Opfer seines Sohnes am Kreuz. Mehr noch, wie Josef sehnt er sich danach, seinen Geliebten sein Herz zu offenbaren.
Schließlich konnte Josef seine Liebe zu seinen Brüdern nicht länger zurückhalten. „Er erhob seine Stimme mit Weinen … Da sagte Josef zu seinen Brüdern: Tretet doch zu mir heran! … Und seid nicht bekümmert, und werdet nicht zornig <auf euch selbst> … Denn zur Erhaltung des Lebens hat Gott mich vor euch hergesandt“ (1. Mose 45,2.4-5). Josefs Liebe zu seinen Brüdern hatte wenig mit ihrem Bekenntnis zu tun. Sie war nicht das Ergebnis ihrer Gebete, ihres Fastens, oder irgendwelcher guter Werke, oder aufrichtiger Versprechen, seine Diener zu sein. Es war alles eine Angelegenheit völlig unverdienter Liebe.
Dasselbe gilt für uns bei Gott. Er liebte uns, als wir noch Sünder waren – bevor wir umkehrten, bevor wir Betrübnis nach Gottes Sinn empfanden, sogar bevor wir an ihn glaubten. Ich frage Sie: Wie viel mehr liebt Gott uns jetzt deswegen, weil wir seine Liebe angenommen und seine Barmherzigkeit empfangen haben?
Diese große Liebe wurde in der Art und Weise ausgedrückt, wie Josef seine Familie behandelte, nachdem sie mit ihm versöhnt waren: „Josef aber wies seinem Vater und seinen Brüdern Wohnsitze an und gab ihnen Grundbesitz im Land Ägypten, im besten Teil des Landes“ (47,11). Josef speiste und ernährte genau die Brüder, die ihn im Stich gelassen hatten, indem er sie mit Wagenladung auf Wagenladung voller Delikatessen Ägyptens versorgte.
Doch selbst dann lebten diese Männer immer noch in Furcht vor Josef. Siebzehn Jahre später, als ihr Vater starb, brachten Josefs Brüder Jakobs Leichnam zurück nach Kanaan, wo sie ihn mit einer großen Zeremonie bestatteten. Während sie dort waren, flüsterten Josefs Brüder einander zu: „Wenn nun Josef uns anfeindet und uns gar all das Böse vergilt, das wir ihm angetan haben!“ (50,15).
Also gingen sie zu ihrem Bruder, fielen auf ihr Angesicht und flehten ihn voller Furcht an: „Bevor unser Vater starb, hat er uns befohlen, zu dir zu kommen, unsere Sünde zu bekennen und um Erbarmen zu bitten. Wir bitten dich, uns zu vergeben, Josef. Wir werden deine Diener sein. Du hältst unser Leben in deiner Hand.“
Wie reagierte Josef darauf? „Da weinte Josef, als sie zu ihm redeten“ (2. Mose 50,17). Unter Tränen des Kummers sprach er freundlich zu seinen Brüdern und versicherte ihnen: „Fürchtet euch nicht! Bin ich etwa an Gottes Stelle?“ (50:19). Ich glaube, Josefs Tränen zeigen uns, wie verwundet er war. Die anhaltende Furcht seiner Brüder schmerzte ihn zutiefst. Stellen Sie sich vor, was er gedacht haben muss: „Ich habe meinen Brüdern vor siebzehn Jahren vergeben. Doch in all dieser Zeit haben sie in Furcht gelebt! Sie haben meine Herzenshaltung ihnen gegenüber nie verstanden. Sie haben meine Liebe nie angenommen.“
Josefs Brüder hatten keinen Grund, ihn zu fürchten. Aber stellen Sie sich ihre Gedankengänge in all den Jahren vor: Sie hatten niemals Freude an Josefs Versorgung, seinen Geschenken, seinen Mitteln, seiner Freundlichkeit und Liebe. Als Folge waren sie nie entspannt, niemals in der Lage, das Leben zu genießen, sondern sie dachten immer über ihre vergangenen Sünden nach – und schätzten ständig das Herz ihres Bruders falsch ein.
Josef hatte Freude an ihnen und demonstrierte seine Liebe mit Umarmungen, Küssen und Freudentränen. Er freute sich, dass er sie segnen konnte und prahlte vor den weltlichen Ägyptern über sie. Durch all diese Dinge sagte Josef ihnen: „Wir sind versöhnt. Mich interessiert nicht, was ihr in der Vergangenheit getan habt. Ich möchte euch nur mein Herz für euch zeigen.“ Doch die Brüder gingen von Jahr zu Jahr und vertrauten ihm niemals. Und so waren sie ständig ängstlich, freudlos und niedergeschlagen. Sie dachten, dass alle ihre Prüfungen Gottes Art und Weise waren, ihnen ihre Sünden heimzuzahlen.
Leider gilt das auch für viele in Gottes Volk heute. Wie Josef trauert Gott über den Kummer und Schmerz, den wir über uns selbst bringen, indem wir nicht in seiner Liebe ruhen. Der Hebräerbrief sagt uns, dass Christus in der Herrlichkeit von unseren Schwachheiten berührt wird (siehe Hebräer 4,15). Er hat „Mitleid“ mit uns, mitfühlenden Schmerz, und ist verletzt, wenn wir verletzt sind. Sagen Sie mir, Geliebte: Was tun Sie mit dieser großen Wahrheit?
Hier ist das, was ich für die tiefste Ursache der Tränen Josefs halte. Es war nicht, dass seine Brüder seinen Charakter falsch beurteilten oder seine Liebe missbrauchten. Vielmehr war es folgendes, das ich einer alten Hymne entnommen habe: „O, welchen Frieden wir oft versäumen, o, welchen nutzlosen Schmerz wir oft ertragen, alles, weil wir nicht alles im Gebet zu Gott tragen.“
Wenn Josef seine Brüder wirklich liebte – wenn er sich wirklich an ihnen freute –, dann können wir wissen, dass er von dem sinnlosen Schmerz betrübt war, den sie in all den Jahren ertrugen. Er dachte an die lähmenden Ängste, die sie erlitten hatten, an den Frieden und die Freude, die sie verpasst hatten, an all die Schuld und Verdammnis, an die Jahre in den Ketten der Angst. Und ich glaube, dass Josef weinte, weil sie nicht schon längst zu ihm gekommen waren, um alles auszuräumen. Er hatte ihnen seine Tür geöffnet, aber sie erlangten nie Zutritt.
Gemäß Johannes werden wir nur dann ohne Furcht leben, wenn unsere Liebe am Wort Gottes Wort ausgerichtet ist – wenn wir seine Liebe und Fürsorge für uns annehmen, und wir einander bedingungslos lieben. Wir werden Kühnheit haben am Tag des Gerichts. Und wir werden fähig sein, im Hier-und-Jetzt so zu leben wie Christus lebte: ohne Furcht.
Sobald alle Furcht verschwunden ist, sind wir in vollkommener Liebe. Hören Sie auf diese Worte, die von David gesungen wurden: „Majestät und Pracht sind vor seinem Angesicht, Kraft und Freude in seiner Stätte“ (1. Chronik 16,27; Kursiv von mir). Der Wortstamm für „Freude“ im Neuen Testament bedeutet „vor Freude springen“. Gottes Herz hüpft vor Freude über diejenigen, die die Fülle der vollkommenen Liebe genießen.
Gerade jetzt ertrinkt die Welt in Angst. Die Menschheit zittert vor der Erderwärmung, fürchtet sich vor Terroranschlägen, Nuklearkrieg, einer wackeligen Wirtschaft, der AIDS-Plage, Massenmorden, dem Aufstieg des Islam, politischem Chaos und weit verbreiteten Abhängigkeiten von Drogen, Alkohol und Pornografie. Ich frage Sie: Wie können wir etwas für Christus bewirken, wenn wir von demselben Geist der Furcht geplagt werden, den die Welt hat? Welche Art von Hoffnung können wir anbieten – welches Evangelium verkünden wir tatsächlich –, wenn es uns nicht verändert und von Furcht befreit?
Gott brachte den Neuen Bund, um seiner Gemeinde seine Liebe und die volle Vergebung der Sünde zu versichern ... um uns über seine Fröhlichkeit und Freude an uns in Kenntnis zu setzen ... alles, damit wir sein Herz der Liebe zu uns erkennen und alle unsere Tage ohne Furcht leben. Bedenken Sie:
„Die Befreiten des HERRN werden zurückkehren und nach Zion kommen mit Jubel, und ewige Freude wird über ihrem Haupt sein. Sie werden Wonne und Freude erlangen, und Kummer und Seufzen werden entfliehen“ (Jesaja 35,10). „Der HERR ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der HERR ist meines Lebens Zuflucht, vor wem sollte ich erschrecken? ... Wenn sich ein Heer gegen mich lagert, so fürchtet sich mein Herz nicht“ (Psalm 27,1.3).
Es ist längst an der Zeit, dass Gottes Volk alles in seine Hände legt. Ich bitte Sie dringend, hören Sie auf, zu versuchen, ihren Weg aus den Schwierigkeiten zu erdenken. Ruhen Sie stattdessen in der Kraft des Wortes Gottes. Lassen Sie den Herrn jetzt, heute, Fröhlichkeit in Ihr Herz legen. Ihr fröhliches Herz wird all diejenigen „schockieren und beeindrucken“, die um Sie herum in Furcht leben: „Du wirst zum Erstaunen werden, zum Sprichwort und zum Inbegriff unter allen Völkern, wohin der HERR dich führen wird“ (5. Mose 28,37; a. d. englischen King James Version).
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Bibelstellen – soweit nicht anders angegeben – nach der Elberfelder Bibel 2006. Die angegebenen Versnummern können bei einigen Bibelausgaben abweichen.