Unser Lob Gottes hat das letzte Wort

Gary Wilkerson

Ich weiß nicht, ob Sie an Liebe auf den ersten Blick glauben, aber so war es bei Jakob. Als er Lea zum ers- ten Mal sah, wusste er so- fort, dass er sie heiraten wollte. „Rahel aber war schön von Gestalt und von Angesicht. Und Jakob ge- wann Rahel lieb und sprach [zu ihrem Vater Laban]: Ich will dir sieben Jahre um Rahel, deine jüngere Toch- ter, dienen“ (1 Mose 29,17- 18).

Genauso ging es mir bei meiner ersten Begegnung mit Kelly, die später meine Frau wurde. Als wir uns als Teenager kennen lernten, hätte ich gern sieben Jahre gedient, wenn ich sie dadurch hätte heiraten kön- nen. Ich weiß genau, was Jakob fühlte.

Doch sein zukünftiger Schwiegervater Laban spiel- te ihm übel mit. Als die Hochzeitsnacht kam, schick- te Laban statt Rahel ihre Schwester Lea zu ihm ins Zelt. Jakob erkannte erst am nächsten Morgen, dass er mit Lea verheiratet war und nicht mit Rahel. „Und Jakob sprach zu Laban: Warum hast du mir das angetan? Habe ich dir nicht um Rahel gedient? Warum hast du mich denn betrogen?“ (Vers 25).

Laban war bereit, Jakob auch Rahel zur Frau zu ge- ben, wenn er ihm weitere sieben Jahre diente. Jakob willigte gern ein, aber stel- len Sie sich einmal vor, wie Lea sich fühlte. Sie wusste, dass Jakob sie nicht liebte. Sie fühlte sich ungewollt; sie war wie eine Ausgesto- ßene in ihrer eigenen Ehe.

In dieser Situation beschloss Lea, alles daran zu setzen, um Jakobs Liebe zu gewin- nen. Alles, was sie tat, war von diesem Wunsch moti- viert. Sie sagte sich: „Durch Kinder werde ich ihm zei- gen, dass ich seiner Liebe wert bin.“

Wie Lea lassen auch wir uns oft von unseren Wunden treiben; wir versuchen, einer bestimmten Person oder der Welt unseren Wert zu beweisen

Im Blick auf die Liebe Jesu wählen viele Christen den- selben Weg wie Lea. Sie stürzen sich in die Arbeit oder dienen im Reich Gottes aus eigener Anstrengung, um zu beweisen, dass sie seiner Liebe würdig sind. Doch wir können die Liebe Gottes aus einem ganz ein- fachen Grund nie erringen: Er liebt uns bereits.

Gott liebte auch Lea bereits und kam ihr freundlich zu Hilfe. „Und als der Herr sah, dass Lea zurückgesetzt war, da öffnete er ihren Mutter- leib ... Und Lea wurde schwanger und gebar einen Sohn, und sie gab ihm den Namen Ruben, denn sie sag- te: Ja, der Herr hat mein Elend angesehen. Denn jetzt wird mein Mann mich lie- ben“(1 Mose 29,31-32; ELB; meine Hervorhebung).

Lea fühlte sich in ihrem Schmerz verstanden. Sie war sogar so dankbar, dass sie ihren Sohn nach der Gü- te und Freundlichkeit Gottes benannte. Leider änderte das nichts in ihrer Ehe mit Ja- kob; deshalb versuchte sie noch angestrengter, seine Liebe zu gewinnen.

„Schon bald wurde sie wie- der schwanger und bekam einen zweiten Sohn. Sie nannte ihn Simeon, denn sie sagte: ‚Der Herr hat gehört, dass ich nicht geliebt werde, und hat mir auch noch die- sen Sohn geschenkt‘“ (Vers 33; meine Hervorhebung). Lea fühlte sich von Gott gehört. Ein hörendes Ohr zeigt uns, dass wir dem An- deren wichtig sind.

Wenn ich Leas Geschichte lese, denke ich an eine tiefe Krise, die meine Frau Kelly durchmachte. Sie ist mit einer Stimme begabt, in der Wahrheit und Kraft zum Ausdruck kommen, doch Satan griff dieses Talent an. Für Kelly war das besonders hart, denn ihr anmutiger Gesang ob Anbetung, Klage, Freude oder welche menschliche Emotion auch immer war Ausdruck ihres innersten Wesens, was alle schon in ihrer frühen Kind- heit bemerkt hatten. Trotz- dem hatte Kelly in ihren prägenden Entwicklungsjah- ren das Gefühl, ihr tiefstes Ich verbergen zu müssen. Das Herz des jungen Mäd- chens schottete sich in einer Weise ab, die Gott nie für Kelly vorgesehen hatte.

Doch sie erlebte, dass der Herr ihren inneren Schrei hörte, genau wie er Leas Schrei hörte. Seine Gnade wirkte tief in ihrem Herzen und meine Frau gewann ihre Stimme zurück sowohl in menschlichen Beziehungen als auch in der Musik. Nun ist ihre stimmliche Bega- bung ein Segen für Men- schen in aller Welt, wenn sie auf Konferenzen singt und den Zuhörern das heilsame Evangelium Jesu nahe- bringt.

Bei Lea änderte sich leider nichts; sie fühlte sich immer noch nicht geliebt, und so brachte sie ein drittes Kind zur Welt. „Wieder wurde Lea schwanger und bekam einen weiteren Sohn, und sie sagte: ‚Ganz sicher wird mein Mann mir jetzt seine Zuneigung schenken, denn ich habe ihm drei Söhne geboren!‘ Daher nannte sie ihn Levi“ (Vers 34; meine Hervorhebung). Der Name Levi drückt „Zugehörigkeit“ oder „Verbindung“ aus. Lea sagte sich: „Nach drei Söh- nen wird Jakob sich mir jetzt sicher zuwenden.“

Doch das geschah nicht. Lea fühlte sich so, wie viele Christen sich heute in der Gemeinde fühlen: Auch wenn sie äußerlich gesegnet zu sein scheinen, empfinden sie innerlich eine schmerzli- che Leere, weil sie sich nicht gesehen, nicht gehört oder nicht zugehörig fühlen.

Kein Mensch kam versehentlich zur Welt

Vom ersten Moment unserer Existenz an werden wir vom Herrn gesehen, von ihm ge- hört und sind mit ihm ver- bunden. Tatsächlich hat Gott uns alle zu einem Leben in Beziehung geschaffen, doch unsere frühen traumatischen Erfahrungen können uns zu der Vorstellung verleiten, wir müssten uns die innige Beziehung zu anderen Men- schen verdienen. Traumati- sche Erfahrungen können dazu führen, dass wir ein Leben lang zu kämpfen ha- ben und ständig auf der Su- che nach etwas sind, das uns zu fehlen scheint.

Ich denke besonders an zwei Arten traumatischer Erfah- rungen. Die erste ist, dass uns etwas widerfährt, das nie hätte geschehen dürfen. Ich habe einen Freund, der als kleiner Junge von seiner Mutter geschlagen und misshandelt wurde. Manchmal sperrte sie ihn den ganzen Tag in eine Ab- stellkammer ein. Er musste einige der schlimmsten Misshandlungen ertragen, von denen ich je gehört habe und die ein schweres Trau- ma bei ihm auslösten. Er hätte das alles fast nicht überlebt.

Als er zwölf Jahre alt wurde, nahm er sich ein Seil, klet- terte auf einen Baum und stand kurz davor, sich zu erhängen. Glücklicherweise sah sein Bruder ihn und flehte ihn an, es nicht zu tun. Damit rettete er ihm das Leben. Einige Jahre später begegnete der Junge mei- nem Vater, der ein Straßen- evangelist war, und wurde durch Gottes Liebe errettet. Nicky Cruz gab sein Herz Jesus, und da wurde sein Leben von Grund auf erneu- ert. Die Liebe Christi mach- te ihn von den traumatischen Erfahrungen frei, die ihn fast zerstört hätten.

Eine andere Art von Trauma hat innere Auswirkungen. Ein solches Trauma kann auftreten, wenn in der Kind- heit etwas fehlte, das eigent- lich hätte geschehen sollen. Menschen, die unter dieser Art von Trauma leiden, nei- gen dazu, es vor anderen zu verstecken, weil sie meinen, dass es kein Mitgefühl ver- dient.

Diese Art von Trauma habe ich selbst erlebt. Ich werde immer dankbar sein, dass mein Vater dem Heiligen Geist folgte, der ihn dazu berief, ein Evangelist zu sein. Doch das Pensum sei- ner zahlreichen Reisen hin- terließ eine Leere bei mei- nen Geschwistern und mir. Ich hatte nicht annähernd so viel von meinem Dad, wie ich es mir gewünscht hätte, und ich kompensierte diese Leere, indem ich lernte, in- nerlich auf Distanz zu ge- hen. Erst mit Mitte Dreißig bin ich an dieses Problem herangegangen.

Ich fühlte mich ein wenig wie Lea und dachte: „Ich werde nicht gesehen, ich werde nicht gehört, ich bin mit keinem Menschen verbunden, der mir die Liebe schenken könnte, die ich so verzweifelt brauche.“ Es riss eine tiefe Wunde in mein Herz, und ich dachte, dass ich den Schmerz nur bewäl- tigen konnte, indem ich et- was leistete. Ich startete christliche Programme, Dienste und Gemeinden; doch nichts von alledem genügte, um den nagenden Schmerz loszuwerden. Viele von uns gehen so mit ihrem Schmerz um; wir versuchen, uns ein Leben einzurichten, von dem wir glauben, dass es die Wunden heilen wird.

Wenn wir mit unseren Leistungen einen Turm bauen, der auf dem Fun- dament einer tiefen Wun- de ruht, wird dieser Turm unweigerlich einstürzen

Ich baute meinen eigenen Turm durch religiöse Wer- ke. Da mein tiefer Hunger dadurch nie gestillt wurde, war ich ständig getrieben, weitere Werke zu tun. Wie Lea schrie ich innerlich: „Sieh mich an, höre mich, sprich mit mir.“

Eines Tages hatte ich eine Vision, in der ich oben auf einem Gerüst stand. Ich musste dieses Gerüst errich- ten, um meinen Turm noch höher bauen zu können. Doch plötzlich fing das Ge- rüst an zu wackeln. Ich schaute hinunter und sah, wie Jesus die Stangen pack- te. „Danke, Herr“, rief ich hinab. „Ich brauche deine Hilfe, um das Gerüst zu sta- bilisieren!“ Doch Jesus war dabei, an dem Gerüst zu rütteln.

„Herr, was machst du denn?“, schrie ich. „Du wirst alles zum Einsturz bringen!“ „Gut“, sagte er. „Lass es einstürzen.“

Da verstand ich, was er mir sagen wollte. Es war an der Zeit, von dem baufälligen Gerüst abzusteigen, das ich auf ein wackeliges Funda- ment gebaut hatte.

„Ich sehe dich, Gary“, versi- cherte Jesus mir, „so, wie ich dich schon sah, als du im Leib deiner Mutter geformt wurdest. Und ich höre auch den Schrei deines Herzens. Wie oft sagt dir mein Wort: „Rufe mich an und ich wer- de dir antworten?‘ Ich habe dich erschaffen, und heute sage ich dir, dass du in mei- nen Augen vollkommen bist.“

Diese Erfahrung der Gnade erlebte Lea nach der Geburt ihres vierten Sohnes (1 Mo- se 29,35). Sie gab ihrem Baby den Namen Juda, der „Lobpreis“ bedeutet. Sie erklärte damit im Grunde: „Schluss mit meinen eige- nen Versuchen, das tiefes Gefühl zu überwinden, dass ich nie genügen kann. Gott hat mich wertvoll gemacht. Er sieht und hört mich, und seine Liebe verbindet mich für immer mit ihm!“

Leider kehrte Lea dann doch zu ihrer alten Einstellung der Unsicherheit zurück. Schon im nächsten Kapitel wird berichtet, dass sie Ja- kob ihre Magd gab, damit er mit ihr zwei weitere Söhne zeugte, und dass sie Jakob dann mit Liebesäpfeln „be- stach“, mit ihr noch zwei Söhne zu zeugen (1 Mose 30,9-21). Hätte sie doch nach der Geburt von Juda wenigstens für eine Weile ganz in der mächtigen Gna- de und Liebe geruht, die Gott ihr erwiesen hatte, und ihm vertraut.

Wie ist es bei Ihnen? Wenn Sie das Gefühl haben, dass Gott Ihr Leben nicht sieht, preisen Sie ihn dann immer noch? Werden Sie ihm wei- ter vertrauen, auch wenn er Ihnen nicht das gibt, was Sie sich gewünscht haben? Wenn andere Ihnen nicht die verdiente Anerkennung ge- ben, danken Sie dem Herrn trotzdem? Wenn Sie sich von wachsenden Schulden, einer belastenden Familien- beziehung oder einer kör- perlichen Erkrankung nie- dergedrückt fühlen, singen Sie ihm trotzdem Ihr Lob?

Manche werden an dieser Stelle sagen: „Es erscheint mir grausam, Gott preisen zu müssen, wenn ich gerade einen Tiefpunkt erreicht habe.“ Freunde, Jesus han- delt ständig in Ihrem Leben, besonders in Zeiten, in de- nen Sie an einem Tiefpunkt angekommen sind. Er ver- dient Ihr Lob, ganz gleich wie Sie sich emotional fühlen, weil seine allumfassen- de Liebe Ihr unerschütterli- ches Fundament ist. Und gerade indem Sie ihn prei- sen, werden Sie Heilung für Ihre Wunden finden.

Sie brauchen sich nicht län- ger abzurackern. Ruhen Sie in seinem Wort, das er Ihnen zugesprochen hat. Jedes Trauma, das Sie erlebt ha- ben, wird in Jesus völlig gelöst. Ganz gleich, womit Sie zu kämpfen haben durch seine Wunden werden Sie geheilt. Das ist Ihr Lob. Sprechen Sie es aus, singen Sie es ihm zu und erfahren Sie seine Heilung.

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